Die Stereotypen über – insbesondere männliche – Migrant*innen und Geflüchtete als kriminell bekamen in Deutschland neuen Aufwind, nachdem während der Kölner Neujahrsfeier 2015/2016 zahlreiche Raubüberfälle und sexuelle Übergriffe rund um den Hauptbahnhof gemeldet wurden.
In der Folge werden insgesamt ca. 1200 Strafanzeigen gestellt, die sich alle auf Vorfälle unmittelbar um den Kölner Hauptbahnhof bezogen. In fast 500 der Anzeigen ging es um sexuelle Übergriffe, bei denen die Opfer meist von Männergruppen umringt und angegriffen wurden. Obwohl die Straßen so überfüllt waren, dass eine eindeutige Identifizierung der Angreifer nicht möglich war, bestand Einigkeit darüber, dass die Männer nordafrikanischer oder arabischer Herkunft und Migranten oder Asylbewerber gewesen seien. Auch infolge des öffentlichen Drucks verschärfte der Bundestag bald das Sexualstrafrecht nach dem Grundsatz "Nein-heißt-Nein", sodass sexuelle Straftaten umfassender definiert, die Beweislast für die Einreichung einer Klage verringert und strengere Strafen für Täter*innen vorgesehen wurden.
Obwohl das Gesetz als Beitrag zur Bekämpfung sexueller Gewalt galt, kritisierten viele, in welchem Kontext es verabschiedet wurde. Denn die Debatte im Anschluss an den Kölner Silvesterabend folgte dem altbekannten Narrativ des "Anderen", das für die Übel der Gesellschaft verantwortlich gemacht wird. Zwar war das neue Gesetz schon vor der Silvesternacht auf dem Weg, die Übergriffe beschleunigten jedoch seine Verabschiedung und führten zu strengeren Abschiebevorschriften für Asylbewerber*innen, die wegen Sexualdelikten verurteilt wurden.Mit kaum verborgener rassistischer Rhetorik stilisierten rechte Gruppen die Übergriffe in Köln zu einem Beispiel für den drohenden sozialen Zerfall Deutschlands durch die Einwanderungspolitik von Kanzlerin Merkel.
Unter anderem mit dem Hastag #ausnahmslos kämpften feministische Gruppen gegen die Instrumentalisierung von Gewalt gegen Frauen für eine Anti-Migrations-Politik. Sie wiesen darauf hin, dass sexuelle Gewalt nicht von Migranten importiert würde, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem sei. Dies zeige z.B. eine Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2004, laut der 58 Prozent der Frauen sexuelle Belästigung erfahren haben.
Dennoch führten die Kölner Anschläge zu heftigen Reaktionen gegen die deutsche Einwanderungspolitik. Wenige Tage nach den Anschlägen wurde eine Gruppe von Migranten in der Nähe des Kölner Hauptbahnhofs zusammengeschlagen und schwer verletzt. In einer benachbarten Stadt wurde ein Asylbewerberheim in Brand gesetzt. Während der Neujahrsfeier des Folgejahrs wendete die Polizei vermehrt Racial Profiling an, in dem sie gezielt Hunderte von Männern of Color durchsuchte, Platzverweise erteilte und sie teils in Gewahrsam nahm.