Stellungnahme zum Inkrafttreten des reformierten Staatsangehörigkeitsgesetzes
Gemeinsames Statement des Migrationsrat Berlin, Bundesnetzwerk Wir Wählen und With Wings and Roots e.V. als Teil des Bündnisses «Pass(t) uns allen».
Am 27. Juni 2024 tritt die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes in Kraft. Trotz einiger Verbesserungen schauen wir mit Besorgnis auf massive Rückschritte und Verschärfungen.
Zunächst einmal: Mit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes wird Mehrstaatigkeit grundsätzlich zulässig, sie war allerdings für die meisten Einbürgerungen ohnehin gängige Praxis. 2023 durften rund 80,9% der neu Eingebürgerten ihren alten Pass behalten, je nachdem aus welchem Land die Eingebürgerten kamen. Einbürgerungswillige sollen nun schon nach fünf Jahren (statt bisher acht) die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können, bei «besonderen Integrationsleistungen» bereits nach drei Jahren. Alle in Deutschland geborenen Kinder erwerben künftig vorbehaltlos die deutsche Staatsangehörigkeit und können die Staatsangehörigkeit/en ihrer Eltern behalten, wenn mindestens ein Elternteil seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht besitzt (Erleichterung des «Ius-soli-Erwerbs»). Menschen der «Gastarbeits»-Generation sollen Sprachkenntnisse nur noch mündlich nachweisen, ein Einbürgerungstest ist nicht mehr notwendig.
Härtere Anforderungen: Ein Rückschlag für viele
Das Gesetz sieht jedoch auch eine massive Verschärfung bei der Lebensunterhaltssicherung vor. Menschen, die Sozialleistungen beziehen, verlieren ihr bislang mögliches Recht auf Einbürgerung. Dies wird unter anderem arme Alleinerziehende und ihre Kinder, Menschen mit Behinderung, pflegende Angehörige, Studierende und Auszubildende genauso wie Rentner*innen treffen.
«Der deutsche Pass bleibt immer noch ein Privileg. Den Forderungen nach Gleichberechtigung und politischer Teilhabe für alle wurde nicht nachgekommen. Arme Menschen, Alleinerziehende und auch Straffällige werden systematisch ausgeschlossen,» stellt Mallika Basu vom Migrationsrat Berlin fest.
Darüber hinaus ist vorgesehen, dass in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern nur dann die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen, wenn ein Elternteil seit mindestens fünf Jahren rechtmäßig in Deutschland lebt, also im Besitz einer Niederlassungserlaubnis ist. Diese Regelung benachteiligt insbesondere auch Kinder von Staatenlosen, Menschen mit «ungeklärter Identität» sowie Langzeit-Geduldete. Die Gruppe der Staatenlosen und Langzeit-Geduldeten wurde im neuen Gesetz nicht berücksichtigt. Das rassistische Abstammungsprinzip, das Blutsrecht, gilt weiterhin. Eingeführt wurde es um vor allem, um Jüd*innen, Sinti*zze und Rom*nja auszugrenzen.
Ermessensspielräume und neue Vorschriften: Gefahr von Willkür und Diskriminierung
Es ist mehr als fraglich, ob und aufgrund welcher Kriterien Sachbearbeiter*innen in Einbürgerungsbehörden beurteilen können, was «besondere Integrationsleistungen“ sein sollen, um die Wartezeit für eine Einbürgerung auf drei Jahre zu verkürzen. Es steht zu befürchten, dass Ermessensspielräume nicht im Sinn der Antragsteller*innen genutzt werden und unklare Bewertungsmaßstäbe herrschen.
In den Monaten vor der Verabschiedung des Gesetzes bedienten sich Politik und Medien immer wieder rassistischer Narrative. Vertreter*innen von AfD und CDU/CSU sprachen von einer «Verramschung der Staatsbürgerschaft». Es wurde offen über die Möglichkeit der Aberkennung diskutiert und immer wieder der Eindruck erweckt, dass Einbürgerungswillige besonders auf ihre Verfassungstreue überprüft werden müssten. Dieses Misstrauen findet auch in einigen Abschnitten des Gesetzestextes Ausdruck.
Einbürgerungsbewerber*innen müssen sich in Zukunft «zur besonderen historischen Verantwortung Deutschlands für die nationalsozialistische Unrechtsherrschaft und ihre Folgen, insbesondere für den Schutz jüdischen Lebens sowie zum friedlichen Zusammenleben der Völker, insbesondere dem Verbot der Führung eines Angriffskrieges» bekennen.
Außerdem soll von der Einbürgerung ausgeschlossen werden, wer «a) gleichzeitig mit mehreren Ehegatten verheiratet ist oder b) durch sein Verhalten zeigt, dass er die im Grundgesetz festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau missachtet». Hier entstehen Ermessensspielräume und es ist vollkommen unklar, welche Qualifikationen Sachbearbeiter*innen haben müssen und wie der zusätzliche Verwaltungsaufwand in oft ohnehin überlasteten Behörden bewältigt werden soll, wenn solche Einstellungen überprüft werden sollen. Es besteht auch hier die Gefahr rassistischer Zuordnungen und Zuschreibungen, vor allem tatsächliche oder vermeintliche Muslim*innen werden unter Generalverdacht gestellt.
Zusätzlich wurde folgender Satz eingefügt: «Antisemitisch, rassistisch, fremdenfeindlich oder sonstige menschenverachtend motivierte Handlungen sind mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland unvereinbar und verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes.»
Welche «Handlungen» und welches «Verhalten» gemeint ist und wie Sachbearbeiter*innen eine solche Einordnung vornehmen sollen, bleibt unklar. Rassistischen Zuschreibungen wird Tür und Tor geöffnet.
«Die rassistischen Debatten im Vorfeld der Gesetzesverabschiedung über vermeintliche Loyalitätskonflikte und mangelnde Verfassungstreue von Einbürgerungsbewerber*innen, die sich auch im Gesetzestext widerspiegeln, trugen zur gesellschaftlichen Spaltung bei, stellen diese unter Generalverdacht und sind voller Doppelmoral. Gleichzeitig arbeiten AfD-Abgeordnete daran, unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuschaffen und erhalten dafür Redezeit im Bundestag. Wir wollen mehr Demokratie, nicht weniger. Dazu gehört, dass jede in Deutschland geborene Person eine deutsche Staatsangehörigkeit erhält, dass Einbürgerungen erleichtert werden und dass das Wahlrecht für alle gilt. Dafür werden wir weiter kämpfen!», so Olga Gerstenberger von With Wings and Roots e.V.
Demokratiedefizit bleibt bestehen
Ein Blick auf die vergangenen Europawahlen zeigt, dass mehr als 6,3 Millionen in Deutschland lebende erwachsene Menschen nicht wählen durften. Seit 1994 dürfen Staatsangehörige von EU-Mitgliedsländern kommunal wählen und gewählt werden sowie an den Europa-Wahlen teilnehmen. Nicht-EU-Staatsangehörige haben bis heute kein Wahlrecht. Viele von ihnen sind in Deutschland geboren oder leben seit Jahrzehnten in Deutschland. Es wird regelmäßig über das Schicksal von Menschen entschieden, die nicht mitbestimmen dürfen. Einbürgerung muss niederschwellig und kostenlos für Menschen, deren Lebensmittelpunkt in Deutschland ist, möglich sein, damit alle an demokratischen Prozessen teilhaben können.
Wohn- und Wahlbevölkerung sollen in einer Demokratie nicht zu weit auseinanderdriften, hatte das Bundesverfassungsgericht 1990 festgehalten. Seit 1990 hat sich der demokratische Ausschluss von Bürger*innen in Deutschland auf 14% der Erwachsenen verdoppelt.
«Die Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes wird dieses Demokratiedefizit nicht beheben, deshalb fordern wir ein fortschrittliches Wahlrecht, dass alle Menschen nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland in die Demokratie einbezieht», sagt Carolina Bahamondes Pavez vom Netzwerk WIR WÄHLEN.
Kontakte:
Kampagne Pass(t) uns allen: post@passtunsallen.de
Migrationsrat Berlin e.V.: Mallika Basu (mallika.basu@migrationsrat.de)
With Wings and Roots e.V.: Olga Gerstenberger (olga@withwingsandroots.com)
Netzwerk WIR WÄHLEN: Carolina Bahamondes Pavez (kontakt@wir-wählen.org)